Das Sommerloch in der MICE-Branche – Mythos, Metapher oder Mallorca-Moment?
Ein satirischer Lagebericht aus den klimatisierten Tiefen des Eventwesens
Es gibt Begriffe, die klingen wie Phänomene, sind aber eher gepflegte Ausreden. „Das Sommerloch“ gehört zweifellos dazu. In der MICE-Branche – also dort, wo Menschen Meetings, Incentives, Conventions und Events planen und gelegentlich auch besuchen – hat sich dieser Begriff wie ein klimatisierter Schatten über Juli und August gelegt. Doch gibt es dieses sagenumwobene Sommerloch wirklich? Und wenn ja – warum reden wir so gerne darüber, statt es einfach mal zu genießen?
Die Theorie ist einfach: Im Sommer ist es heiß, die Entscheider sind auf Sylt, die Kunden auf Mallorca und die Eventmanager irgendwo zwischen Burnout und Barbecue. Angeblich läuft dann nichts. Keine Anfragen. Keine Budgets. Keine Workshops. Nur noch automatische Abwesenheitsnotizen, denen man die Sehnsucht nach Schatten, Sangria und einer stabilen Sonnenbrille anmerkt. Die Meetingbranche – sonst so quirlig, hektisch und voller Raumbuchungs-Eskalationen – geht kollektiv in den Standby-Modus. Angeblich.
In der Praxis sieht es allerdings anders aus. Während einige das Sommerloch als strategisches Erholungsloch deklarieren („Jetzt können wir endlich die Website relaunchen“), arbeiten andere durch – mit schweißtreibender Konsequenz. Denn: Die Events im Herbst wollen geplant werden. Die Weihnachtsfeiern sind schon überfällig. Und irgendjemand muss sich auch um das hybride Führungskräfte-Retreat im September kümmern, bei dem keiner weiß, ob die CEO aus dem Homeoffice oder aus der Toskana zugeschaltet wird.
Also: Gibt es das Sommerloch wirklich? Oder reden wir uns da kollektiv etwas schön, das in Wirklichkeit nur eine ungeschickte Saisonverschiebung ist?
Früher, so sagen die Alten im Business, sei das Sommerloch noch ein ehrlicher, klarer Zustand gewesen. Damals, als Events aus Flipcharts, Moderationskoffern und einem vertrauensvollen Catering bestanden. Da wurde im Juli kaum etwas geplant, weil niemand freiwillig bei 36 Grad in einem schlecht klimatisierten Seminarhotel PowerPoint-Folien sortieren wollte. Damals reichte ein Fax mit dem Vermerk „im Urlaub“ – und es war auch so gemeint.
Heute ist das anders. Heute plant man alles in Echtzeit, weltweit, kanalübergreifend. Wer nicht auch im Hochsommer Angebote verschickt, läuft Gefahr, aus dem Rennen zu fliegen, bevor es richtig beginnt. Das Sommerloch wurde ersetzt durch den „Q3-Startschuss“, die „Early-Bird-Planung Q4“ und das „Executive Alignment zur Transformationserzählung der Jahresendkommunikation“. Wer da noch vom Sommerloch spricht, wirkt wie jemand, der im Freibad über WLAN-Probleme klagt.
Trotzdem hält sich der Mythos. Vielleicht, weil das Sommerloch eine letzte nostalgische Bastion ist. Ein mentaler Rückzugsort. Eine metaphorische Poolliege im Kopf. Man ruft es herbei wie eine längst vergessene Freundin, die früher einfach da war, wenn man sie brauchte. „Sommerloch“ – das klingt nach leeren Kalendern, nach sinnfreien Brainstormings mit Eiskaffee und nach der einzigen Zeit, in der Eventmanager sich selbst Termine eintragen können, ohne sie sofort wieder zu verschieben.
In manchen Büros geht man sogar so weit, das Sommerloch zu inszenieren. Man setzt ein paar willkürliche Termine in den Kalender, nennt sie „Konzeptphase“, obwohl es eigentlich um nichts geht außer darum, unbehelligt E-Mails zu ignorieren. Man trägt sich Projektcodes ein wie „Projekt S.L.O.W.“ oder „Operation Hitzefrei“ – offiziell strategische Neuausrichtung, inoffiziell Siesta auf Deutsch.
Der Vertrieb nennt es „Lead-Dürre“. Das Marketing spricht von „Budgetverschiebungen“. Die HR-Abteilung nennt es „Sommerzeit = Teilzeit“. Und der Chef? Der postet aus dem Segelboot auf LinkedIn den Satz: „Nutzung des Sommerlochs für Reflexion und Horizonterweiterung“. Hashtag: #BusinessZen.
Aber ist das fair? Ist das Sommerloch wirklich ein Loch – oder vielleicht eher eine versteckte Ressource? Die einen sagen, es sei die einzige Zeit, in der man endlich mal ohne Kundenkontakt die Veranstaltungsstrategie überdenken kann. Die anderen kontern: „Strategie? Wir haben doch gerade erst die Frühlingspräsentation überlebt!“ Was bleibt, ist das Gefühl, dass das Sommerloch eine emotionale Projektionsfläche ist – für das, was man gerne hätte: Pause, Luft, Schatten, Denken.
Und manchmal: einfach Stille.
Doch so leise ist es gar nicht. In Wahrheit ist das Sommerloch längst kolonialisiert worden – von Teambuilding-Events mit Floßbau, Wanderschuhen und Drohnenfotografie. Von Outdoor-Workshops mit Sonnenbrandgarantie und Biodiversitätszertifikat. Von Offsite-Klausuren in „Retreat-Häusern“, in denen das WLAN absichtlich schwach ist, um die Verbundenheit mit der Natur zu simulieren. Selbst das klassische Grillfest wurde professionalisiert. Heute heißt das: „informelles Mitarbeiterdialogformat mit Sensorikmodul“. Das Sommerloch hat nicht nur einen neuen Namen – es hat ein ganzes Programmheft.
Auch Incentives, die früher im Frühjahr oder Herbst lagen, wandern mittlerweile in die Sommermonate. Warum? Weil Reisekosten mit Ferienzeiten harmonieren. Weil Destinationen außerhalb der Hochsaison nicht mehr existieren. Und weil das Sommerloch in Wahrheit längst ein Sommermarkt geworden ist – eine Zeit, in der man mit etwas Sonnencreme und Kreativität Kunden binden, Teams inspirieren und Budgets sichern kann. Nur nennt es niemand mehr so. Es heißt jetzt: „Summer Activation“. Oder: „Mid-Year Engagement Phase“. Oder einfach: „Juli“.
Der wahre Witz am Sommerloch ist, dass alle davon reden, aber keiner genau sagen kann, wo es beginnt oder endet. Es ist wie ein guter Aperol Spritz: Er taucht plötzlich auf, hält sich überraschend lange – und am Ende weiß niemand mehr, wer ihn bestellt hat.
Vielleicht ist das Sommerloch auch einfach das kollektive Gewissen einer Branche, die sich pausenlos selbst überholt. Eine Art eingebauter Selbstschutz. Ein freundlicher Hinweis aus dem Innersten des Systems: „Mach mal halblang.“ Und wie bei allen Gewissensfragen gilt: Wer am lautesten über das Sommerloch schimpft, hat es am nötigsten.
Am Ende bleibt die Frage: Müssen wir das Sommerloch abschaffen – oder sollten wir es zurückfordern? Nicht als Ausrede, sondern als bewusste Leerstelle im Terminkalender. Als Denkpause. Als Möglichkeit, nicht gleich den nächsten Hype zu veranstalten, sondern einfach mal: nicht. Denn wenn alles Event ist, dann ist vielleicht gerade das Nichts der wahre Luxus.
Also ja: Es gibt das Sommerloch. Es gab es schon immer. Es wird es immer geben. Mal als Pause, mal als Projektion, mal als Business Opportunity mit Sonnenhut. Entscheidend ist nicht, ob es leer ist – sondern, wie man es füllt. Und manchmal, da reicht schon ein Eiskaffee und der Satz: „Heute kein Call. Ich arbeite am Sommerloch.“